Auftaktveranstaltung der Forschungsgruppe VILLAGE in Innsbruck

28. Juni 2018

Am 28.06.18 fand in der Aula der Universität Innsbruck die Auftaktveranstaltung des Village-Projekts statt. Zu Gast waren lokale und nationale InteressenvertreterInnen, LokalpolitikerInnen, die Presse und die interessierte Öffentlichkeit. Die Auftaktveranstaltung sollte den TeilnehmerInnen einen Überblick über das Forschungsvorhaben sowie den Ablauf des Projekts verschaffen und das Team der ForscherInnen vorstellen. Moderator Dénes Széchényi von TIROL TV leitete die Gäste und Vortragenden durch die gesamte Veranstaltung. 

Eröffnung.

Der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, Wolfgang Fleischhacker, leitete die Veranstaltung mit einer Rede ein. Für ihn sei es eine Ehre, dass dieses Projekt nach Innsbruck gekommen ist, nicht zuletzt da er durch seine Arbeit in der Psychiatrie oft mit der Thematik konfrontiert gewesen sei. Claudia Lingner, die Geschäftsführerin der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft (LBG), verkündete, dass das Village-Projekt für die LBG einen besonderen Stellenwert einnehme, da es bisher noch kein vergleichbares Projekt in diesem Ausmaß in Tirol gegeben habe. Der Psychiatriekoordinator Karl Stieg beendete die Eröffnung mit der Betonung, wie hochbrisant die Forschungsthematik auch für seine Arbeit sei. 

Projektvorstellung. 

Anschließend stellte Jean Paul, die Leiterin der „Village“-Forschungsgruppe, das Projekt vor. Wichtig aufzuzeigen galt, dassKinder psychisch erkrankter Eltern einem höheren Risiko ausgesetzt sind, selbst psychisch zu erkranken oder emotionale Schwierigkeiten zu entwickeln. Das Problem bestehe darin, dass diese Kinder häufig nicht wahrgenommen werden und somit können auch ihre Bedürfnisse nicht erkannt und auf diese eingegangen werden. Deshalb, so Paul, bestünden die Praxisansätze einerseits in der Früherkennung und damit auch Wahrnehmung betroffener Kinder und Jugendlicher und andererseits im Ausbau des informellen Netzwerkes, damit diese Kinder ein glückliches und gesundes Leben führen können. Ziel sei es, eine kindzentrierte sowie kooperative Praxis, eine verbesserte Entwicklung und ein erhöhtes Wohlbefinden für diese Kinder zu schaffen. Außerdem werde eine Kosteneinsparung durch kollaborative Praktiken angestrebt. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Projekts werden Praxisansätze entwickelt, implementiert und evaluiert. Ziel, so Paul, sei es die Praxis zu verstehen und zu verbessern. Es sei wichtig zu erfassen, was für wen funktioniert und unter welchen Bedingungen. Anschließend stellte Paul das internationale Team der ForscherInnen vor.

Podiumsdiskussion.

In der Podiumsdiskussion fanden sich Karl Stieg, Alex Hofer, Maria Fischer und Lisa Kainzbauer zu einer gemeinsamen Gesprächsrunde ein. Die Vertreter unterschiedlicher Institutionen bzw. ExpertInnen hatten hier die Möglichkeit, ihre Erwartungen an das Projekt, Meinungen und Ideen dazu aus ihrer spezifischen Perspektive zu schildern. Die Fotografin und Konzeptkünstlerin Lisa Kainzbauer gilt als Expertin aus Erfahrung. Sie berichtete von ihren persönlichen Erfahrungen, wie es ist, mit einer an Schizophrenie erkrankten Mutter aufzuwachsen. Die Kernaussage ihres Beitrages war, dass es wichtig sei, einen Ansprechpartner zu haben und sich dadurch nicht mit den Problemen allein gelassen zu fühlen. In ihrem Fall nahm die Großmutter diese Rolle ein. Lisa Kainzbauer bekräftigte damit die Notwendigkeit eines tragfähigen Sozialnetzes. Alex Hofer, Leiter der Abteilung Psychiatrie I der Universitätsklinik, beleuchtete die Problematik, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern nicht immer wahrgenommen werden können, weil die Eltern befürchten, dass ihnen das Kind weggenommen wird. Maria Fischer, die Beratung und Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter in Tirol anbietet, legte den Fokus insbesondere auf die Situation der Kinder. Einerseits ist es ihr ein Anliegen, Kinder mehr entwicklungspsychologisch wahrzunehmen und Diagnosestellungen nicht zu stark zu gewichten, da diese schnell eine Stigmatisierung zur Folge haben können. Sie betonte darüber hinaus die Wichtigkeit, dass Kinder „Kinder sein können“. Das gemeinsame Spiel, das Musizieren und Bewegung leisten einen wichtigen Beitrag in der Erhaltung und Wiedererlangung psychischer Gesundheit bei Kindern. Karl Stieg, Psychiatriekoordinator des Landes Tirol, äußerte sich kritisch gegenüber der Sichtweise, dass es in Tirol an Unterstützungsangeboten mangle. Er vertrat die Annahme, dass Tirol diesbezüglich schon viele Möglichkeiten bietet und er erhoffe sich vom Village-Projekt insbesondere eine bessere Vernetzung und Kooperation der Institutionen. 

Impuls: Künstlerische Performance „Family matters“.

In ihrer künstlerischen Performance gab die Schauspielerin und Künstlerin Grischka Voss den Gästen die Möglichkeit, in den Alltag mit einer psychisch erkrankten Mutter einzutauchen. Als Expertin aus Erfahrung erzählte Grischka Voss mit ihrer Stimme und ihrem Körper von Erfahrungen aus ihrer eigenen Kindheit und nahm die Anwesenden mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit. Durch ihre Offenheit und unter Einbeziehung des Publikums gelang es Grischka Voss, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Thematik (insbesondere die Perspektive der Kinder) von einem neuen Blickwinkel aus erfahren werden konnte. 

Mitreden und Mitgestalten.

Nach einer kurzen Pause fand der interaktive Part des Nachmittages statt. Alle TeilnehmerInnen der Auftaktsveranstaltungen fanden sich in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten die Fragestellung wie das Village praktisch aussehen soll. Jede Gruppe fasste ihre Ideen auf Plakaten zusammen und stellte diese anschließend den Anwesenden vor. Hier ein Überblick über die wichtigsten Ideen:

Mindset: Wie gehen wir (innerhalb des „Village“) miteinander um? 
Als wichtigste Attitüden stellten sich Offenheit, Verantwortungsgefühl, Wertschätzung, Grüßen, Zivilcourage, Achtsamkeit, Vertrauen in die Kinder und Gemeinsamkeit heraus.  

Enttabuisierung und Sensibilisierung
Kinder vor Stigmata zu schützen und zu bewahren, wurde von einigen Gruppen erwähnt.  Da Stigmata im Rahmen psychischer Erkrankungen und im psychiatrischen Kontext keine Seltenheit sind, müssten hier Programme zur Prävention und Enttabuisierung psychischer Erkrankungen eingeführt werden.  Durch diese Aufklärung soll eine Sensibilisierung für psychische Krankheiten der Gesellschaft erreicht werden. Die Wahrnehmung und das bessere Verständnis für die Bedürfnisse von Kindern wurden als wichtige Eigenschaft des „Village“ deklariert. 

Aufklärung der Kinder 
Aus den Diskussionsrunden ging hervor, dass es erforderlich sei, offen über die psychischen Erkrankungen zu sprechen. Damit sei auch ein Schritt in Richtung Enttabuisierung getan. Auch Aufklärungsinterventionen bezüglich psychischer Erkrankungen können den Umgang mit psychischen Erkrankungen sowie Betroffenen schulen. Ängste und Sorgen sollten frei angesprochen werden können. Auch positive Psychologie war ein Thema betreffend kindlicher Aufklärung: Der negativen Bedeutung psychischer Krankheiten sollte eine positive und die gesundheitsfördernde Haltung gegenüberstehen. Außerdem sollte die Resilienz der Kinder gefördert werden.

Soziales Netzwerk
Gemeinschaft, Zusammenhalt und Nachbarschaftshilfe/Gastfamilien sollen den Kernbestandteil des „Village“ bilden, um für ein stabiles Sozialnetz zu sorgen, das Kinder zuverlässig begleitet und auffängt. Die gesellschaftlichen Strukturen sollten generationsübergreifend, familienfreundlich und das Gemeinwesen kindzentriert sein; dazu gehören auch Feste und Rituale, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Ebenfalls Unterstützung soll dem gesunden Elternteil zu kommen, da auch dieses unter der Situation leidet. Für betroffene Kinder hingegen ist neben der professionellen Unterstützung auch der Kontakt mit Gleichaltrigen wichtig. Kinder sollten nicht aus ihrem bestehenden Netzwerk rausgenommen, sondern in ihren vorhandenen Sozialkontakten gefördert oder in eine Gruppe mit anderen betroffenen Kindern integriert werden. Als weiteres brisantes Thema stellte sich die Trennung von Kind und Familie dar. Es stellte sich die Frage, wie in solchen Fällen familiäre Strukturen intakt bleiben können.

Raumgestaltung
Im Hinblick auf die räumliche Gestaltung des Village stand insbesondere das Thema „Gemeinschaft“ im Fokus. Die Ideen reichten von einem offenen Hinterhof, öffentlichen Räumen und Plätzen sowie Spielplätzen bis zu inklusiven Wohnprojekten.

Als unabdingbar wurden auch „Räume ohne Kontrolle“ genannt – hier ist Raum im übertragenen Sinne gemeint – in dem die Kinder unter sich sein und eine unbeschwerte Kindheit erfahren können. 
 

Institutionen und Angebote
Sowohl Kooperation als auch Kommunikation zwischen verschiedenen Institutionen und ihren Angeboten sollen im „Village“ eine zentrale Rolle spielen. Zur Strukturierung und Planung wäre ein/e Koordinator/in sinnvoll. Es ist auch notwendig, Angebote niederschwellig zu gestalten; dies bedeutet, dass Angebote auf Familien zugehen und nicht umgekehrt. Neben institutionellen Interventionen und Programmen sind bestehende Angebote vor Ort, wie Tagesmütter/-väter, FamilienhelferInnen oder der Sozial- und Gesundheitssprengel wichtig. Hierbei könnten auch Aus- und Weiterbildungen in bestehenden Einrichtungen hilfreich sein (z.B. Zusatzausbildungen für Lehrpersonal oder soziales Kompetenztraining für Kinder in Schulen), damit sie die individuelle Situation besser erfassen und hier zielgerichteter unterstützen können. Auch „normale“ Angebote für Kinder, wie Unternehmungen in der Natur, Musizieren und Sport unterstützen die gesunde Entwicklung von Kindern.

Finanzierung
Die Finanzierung sollte barrierefrei sein, sprich die Angebote müssen unabhängig vom Einkommen der Bedürftigen in Anspruch genommen werden können. Die Finanzierung von Unterstützungsprogrammen sollte unabhängig von einer vorhandenen psychopathologischen Diagnose des Kindes möglich sein.